Willkommen bei Hans Reime
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Geiseldrama

Unblutiges Ende nach 22 Stunden

Matthias Gebauer - 03.04.2002

Sparkasse in Wrestedt: Ausgangspunkt des Geiseldramas

Nach einer Verfolgungsjagd über 1600 Kilometer hatte die Zermürbungstaktik der Polizei Erfolg. Ohne Schüsse oder Gewalt gaben die drei Geiselnehmer im ukrainischen Rovne auf, nachdem die beiden deutschen Bankangestellten bereits frei waren. Bei den Tätern soll es sich ersten Erkenntnissen zufolge um Aussiedler aus Kasachstan handeln, die in Hamburg

lebten.

Uelzen/Warschau/Kiew - Ein Geiselnahme

Am Ende siegte der langeAtem der Polizei. Offenbar ohne größeren Widerstand ergaben sich die drei Männer, die Hunderte Polizisten aus drei Ländern bei ihrer Flucht über rund 1600 Kilometer mehr als 20 Stunden in ständiger Alarmstellung gehalten hatten. Der Zugriff, dem längere Verhandlungen mehrerer ukrainischer Polizisten mit den Entführern vorausgegangen waren, gelang schließlich gegen 16 Uhr in der Stadt Rovne, etwa 200 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt.

Viel mehr jedoch ist von dem Ende der spektakulären Flucht der Bankräuber noch nicht bekannt. Einige Quellen sprachen vom Einsatz einer ukrainischen Anti-Terror-Einheit, andere von normalen Beamten der örtlichen Miliz, welche die Verhandlungen geführt haben sollen. Klar scheint jedoch zu sein, dass der erste Kontakt zu den Tätern in einem Café in Rovne, in dem die Entführer Getränke einkaufen wollten, stattfand. Später gelang es dann, den Gangstern ein Handy zu übergeben. Nach stundenlangen Verhandlungen mit Angeboten von 50.000 Euro für die zweite Geisel soll diese freiwillig an die Polizei übergeben worden sein. Wenig später dann haben offenbar auch die Täter aufgegeben. Deutsche Ermittler waren an der Festnahme nur noch indirekt über Funk beteiligt - sie waren an der ukrainischen Grenze gestoppt worden.

Beiden Geiseln, einer 25- und einer 39-jährigen Bankangestellten, geht es nach Angaben der Botschaften in Warschau und Kiew den Umständen entsprechend gut. Sie stehen nach der Entführung unter Schock, seien aber körperlich unversehrt. Sie werden auch psychologisch von Botschaftsmitarbeitern betreut und sollen vermutlich morgen nach Deutschland geflogen werden. "Unsere Mitarbeiter werden sich um alles kümmern", so eine Botschaftsmitarbeiterin am Abend.

Polizeiwaffen erbeutet

Dem unblutigen Happy End war eine Odyssee der Geiselnehmer durch Deutschland, Polen und der Ukraine vorausgegangen. Diese hatte am Dienstag nach einem Überfall auf eine Sparkasse in Wrestedt bei Uelzen begonnen, wo die drei Täter einen sechsstelligen Euro-Betrag erbeutet hatten. Nach Ankunft der Polizei flüchteten die Kidnapper mit einem silbernen Seat-Kleinwagen zuerst "völlig planlos", wie Hans Reime, Einsatzleiter der Polizei in Lüneburg, am Mittwoch berichtete. Zuvor hatten sie drei Polizisten vor der Bank bedroht und sie zur Abgabe ihrer Dienstwaffen gezwungen. Nach Angaben der Polizei sollen die drei Männer, von denen einer Hochdeutsch sprach, selbst großkalibrige Waffen bei sich gehabt haben.

Bei ihrer Flucht Richtung Osten durchfuhren sie mehrere Grenzposten und gaben aus dem Wagen etliche Schüsse ab, hielten aber immer wieder an, um sich zu orientieren. Zunächst fuhren die Kidnapper nach Hamburg, dann wieder nach Süden und schließlich in Richtung Berlin. Immer wieder hatte die Polizei erfolglos versucht, die Täter durch die Sperrung von Abfahrten über die Autobahn 2 in Richtung Westen zu leiten. Als sie in Richtung Polen fuhren, sollten sie am Grenzübergang Frankfurt/Oder durch einen "künstlichen Stau" von mehreren Lastkraftwagen gestoppt werden, was jedoch an den wenigen Lkw auf der Straße vor dem Grenzübergang scheiterte.

"Nicht ein Moment für einen Zugriff"

Schließlich ließ der Bundesgrenzschutz (BGS) den Wagen ohne Widerstand nach Polen passieren. "Die Gefahr für die Geiseln bei einer Blockade durch unsere Grenzer wäre unkalkulierbar gewesen - für alle Beteiligten", sagte ein leitender BGS-Beamter am Abend gegenüber SPIEGEL ONLINE. Die Sicherheit der Geiseln habe "oberste Priorität" gehabt, so der BGS-Mann. Nachdem der Stau-Versuch gescheitert sei, habe man auch die polnischen Grenzer angewiesen, den Wagen passieren zu lassen.

Mit den gleichen Argumenten wurde offenbar ein Zugriff auf der Autobahn verworfen. "Es gab nicht eine Situation, in der ich einen Zugriff befohlen hätte", so ein beteiligter Leiter einer Polizei-Spezialeinheit, die ständig dem Geiselwagen auf der Spur waren. Die ganze Zeit hatte die Polizei in Lüneburg die Einsatzleitung inne. In der Einschätzung der Situation seien sich aber alle Beteiligten einig gewesen, so der Einsatzleiter. Man habe nicht sehen können, wie die Situation im Auto gewesen sei, so der mit Geiselnahmen vertraute Polizist. Außerdem seien die Täter mit einer Geschwindigkeit gefahren, bei der lediglich ein gewagter Crash zum Stopp des Seats möglich gewesen sei. Alle Varianten seien immer wieder erwogen, aber mit Rücksicht auf die Geiseln verworfen worden, sagte der Beamte im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

In Polen setzte sich am frühen Mittwochmorgen die wirre Fahrt der Entführer fort. Scheinbar sinnlos wechselten die Täter die Fahrtrichtung und hielten immer wieder an, um sich zu orientieren. Nahe dem südpolnischen Lublin konnte sich schließlich die 39-jährige Geisel aus der Gewalt der bewaffneten Räuber in einen Streifenwagen retten. Bei einem Tankstopp nahm sie allen Mut zusammen, versteckte sich zuerst hinter einer Tanksäule und rannte dann zu einem polnischen Polizeiwagen. Die andere Geisel, eine 25-Jährige, wurde später in der Ukraine "freiwillig" freigelassen, wie die Polizei mitteilte.

Auf der letzten Etappe ihrer Flucht versuchten die Gangster offenbar, die ukrainische Polizei zu bestechen. Die Männer hätten der Polizei die Freilassung ihrer Geisel und 50.000 Euro angeboten, "damit wir sie verlieren", sagte Alexander Gapon, ein ranghoher Vertreter des ukrainischen Innenministeriums, am Mittwochabend vor der Presse in Kiew.

Alle drei deutsche Staatsbürger

Über die Identität der Täter ist bisher wenig bekannt. Nach Angaben der ukrainischen Polizei besitzen sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Oleksandr Hapun, Leiter der ukrainischen Polizeiaktion zur Befreiung der Geiseln, sagte am Mittwochabend, die drei Männer kämen aus Hamburg. Die Polizei in Lüneburg vermutet, dass es sich um Aussiedler aus Kasachstan handelt.

Die Mittzwanziger seien vorerst in ein Untersuchungsgefängnis gebracht worden. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg kündigte bereits an, dass sie die Auslieferung der drei Täter nach Deutschland beantragen werden. Ob die Ukrainer diesem Verfahren zustimmen, ist noch unklar.

Nach der Festnahme lobten die deutschen Behörden die Zusammenarbeit sowohl mit den polnischen als auch die ukrainischen Polizeibehörden. Man sei zu jedem Zeitpunkt gut koordiniert gewesen, so der Lüneburger Einsatzleiter Hans Reime.

Erleichterung

Befreite Geisel auf dem Heimweg

Spiegel Online 04.04.2002

Knapp 20 Stunden nach dem Ende der Geiselnahme von Wrestedt kann nun auch die zweite Bankangestellte endgültig aufatmen. Am frühen Nachmittag wurde die 25-jährige Frau vom deutschen Botschafter in Kiew zum Flughafen geleitet.

 

Kiew/Uelzen - Am Flughafen in der ukrainischen Hauptstadt wurde die junge Frau von ihrem Verlobten und Polizeibeamten aus Lüneburg in Empfang genommen, hieß es am frühen Donnerstagnachmittag. Zuvor hatte es Zweifel gegeben, ob es für das zweite Opfer der spektakulären Geiselnahme überhaupt möglich sei, noch am Donnerstag nach Deutschland zurückzukehren. Für die Ausreise fehlte das nötige Ausreisevisum. Nun heißt es, die junge Frau werde mit einer Linienmaschine nach Hamburg gebracht, wo sie voraussichtlich am Abend eintreffen soll.

Die 39-jährige Kollegin, der in Polen die Flucht aus dem Auto der Geiselnehmer gelungen war, befindet sich bereits seit der vergangenen Nacht wieder in ihrer Heimatstadt. Mit einem Polizeihubschrauber war sie am späten Abend nach Deutschland geflogen worden.

Rund 21 Stunden hatten die drei Täter versucht, sich nach dem Überfall auf die Bank in der Nähe von Uelzen den Weg freizupressen. In der Ukraine gaben sie dann schließlich auf. Die drei Täter - nach Polizeiangaben 23, 25 und 26 Jahre alt - sollen Aussiedler sein. Zwei von ihnen stammen aus Kasachstan.

Nach neuen Erkenntnissen der Polizei wohnten die Männer in Lüneburg. Zunächst hatte es geheißen, die Täter lebten in Hamburg. Bei der Durchsuchung ihrer Lüneburger Wohnungen sei Beweismaterial sichergestellt worden.

Offenbar hatten die Gangster ursprünglich nicht vor, bei dem Banküberfall Geiseln zu nehmen. Die Geiselnahme sei eine "Fortsetzung von Improvisation" gewesen, sagte ein Polizeisprecher am Donnerstag. "Wenn die Beamten nicht so früh am Tatort gewesen wären, hätte es mit Sicherheit gar keine Geiselnahme gegeben", sagte der Sprecher. Nach Angaben der ukrainischen Polizei sollen die drei Geiselnehmer noch am Donnerstag nach Deutschland abgeschoben werden.



Urteil

Lange Haftstrafen für Geiselnehmer von Wrestedt

27.08.2002

Die Geiselnehmer von Wrestedt sind zu sechs und acht Jahren Haft verurteilt worden. Sie hatten im April dieses Jahres eine Bank überfallen und waren anschließend mit ihren Opfern in die Ukraine flüchteten. Die Richter erkannten Spielsucht und hohe Schulden nicht als strafmildernde Umstände an. 

 

Lüneburg - Das Landgericht Lüneburg hat die drei Täter der spektakulären Geiselnahme von Wrestedt zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die 24 bis 26 Jahre alten russischen Spätaussiedler hatten am 3. April dieses Jahres eine Kreissparkasse im niedersächsischen Wrestedt überfallen und mit Waffengewalt rund 240.000 Euro erbeutet. Als die Polizei am Tatort eintraf, flüchteten die Männer mit zwei weiblichen Bankangestellten als Geiseln. Erst nach einer 22-stündigen, 1.600 Kilometern langen Irrfahrt über Polen bis in die Ukraine gaben sie auf. Während der Fahrt schossen sie mehrfach in die Luft, um die Polizei abzuschütteln. Eine der Frauen konnte bei einem Tankstopp in Polen fliehen. Beide Geiseln blieben unverletzt.

Als Haupttäter erhielt Artur F. wegen Menschenraubs, räuberischer Erpressung und Geiselnahme eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten. Die Mittäter wurden zu jeweils sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Haupttäter Artur F. nannte im Prozess seine Spielsucht und hohe Schulden als Motiv für den Banküberfall. Er habe seinen Job als Lagerarbeiter verloren und seine hohen Schulden nicht abbezahlen können. Deshalb habe er sich zu dem Überfall auf die Filiale der Sparkasse in Wrestedt entschlossen und die beiden anderen zum Mitmachen überredet.

Diese vom Verteidiger als strafmildernde Umstände angeführten Gründe wurden vom Richter nicht anerkannt. Wie bereits Staatsanwältin Christa Lüttmer sah das Gericht die Tatvorwürfe erpresserischer Menschenraub, räuberische Erpressung, Geiselnahme und Verstoß gegen das Waffengesetz als erwiesen an. Der 24-Jährige sei zwar eindeutig Initiator und Drahtzieher der Tat gewesen, doch seien die beiden anderen nicht als reine Mitläufer anzusehen.

In Wrestedt habe er sich ausgekannt, weil er dort im Rahmen seiner später abgebrochenen Ausbildung bei der Sparkasse gearbeitet habe. Eine Geiselnahme sei nicht geplant gewesen. Die drei nicht vorbestraften Aussiedler hatten die Tat bereits am ersten Prozesstag gestanden.

Die Angeklagten, die sich in ihrer Schlusserklärung für ihre Taten entschuldigten, nahmen die Urteile an und verzichteten auf Rechtsmittel. Die drei Monate Untersuchungshaft in der Ukraine werden den Männern auf die Dauer ihrer Haft mit je sechs Monaten angerechnet. Die Urteile sind bereits rechtskräftig.

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